Andreas Eschbach

Eine Billion Dollar

Hin und wieder malen wir uns aus, wie es wäre, wenn es noch Feen gäbe, man eine von ihnen beim nächsten Waldspaziergang träfe und sie hinter einem Baum hervorlugte und sagte: Du hast drei Wünsche frei.

 

Was würde ich mir wünschen? Ausreichend Geld bis zum Lebensende? Gesundheit? Einen erfüllenden Job? Ein gut gehendes Unternehmen? Eine wunderbare Familie? Aber Vorsicht: Mancher hat sich beim Wünschen schon verzockt. Man denke an das Märchen von dem Fischer un syner Frau oder an die Sage über König Midas.

 

Aber wichtiger ist für mich das, was Schiller in der „Ode an die Freude“ zum Glücklichsein aufzählt: "Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein, wer ein holdes Weib errungen, stimme in die Freude ein."

 

Andreas Eschbach erzählt in seinem Buch „Eine Billion Dollar“ ein modernes Märchen, wie es wohl jeder schon so oder ähnlich taggeträumt hat: Man wäre als Baby vertauscht worden und in Wirklichkeit ein Prinz oder eine Prinzessin. Wenn nur endlich einer käme und das Versehen aufdecken würde. Dann wäre man nicht nur seine „bucklige Verwandtschaft“ los (unbeachtet, dass man nicht weiß, welche neue dann dazukommt), sondern auch reich…

Hauptfigur bei Eschbach ist der New Yorker John Salvatore Fontanelli, Sohn eines aus Italien eingewanderten Schuhmachers. Ob er solchen Träumen nachgehangen hat? Wenn ja, dann sollten sie möglicherweise wahr werden. Im 16. Jahrhundert hatte sein Urahn, der florentinische Kaufmann Giacomo Fontanelli, 100 Gulden der Florentiner Familie Sacchi zur Vermögensverwaltung übergeben. Dieser Betrag sollte mit Zins und Zinseszins (der Name Fontanelli ist Programm) dem jüngsten männlichen Nachkommen übergeben werden, der am 23. April 1995 am Leben sei. Laut Testament hatte Urahn-Fontanelli im Traum die göttliche Offenbarung, dass sein Nachkomme mit dem ererbten Vermögen der Menschheit die verlorene Zukunft wiedergeben werde. Mit Zins und Zinseszinsen beläuft sich die Erbmasse rund 500 Jahre später auf eine Billion Dollar.

 

Was aber macht ein junger Mensch mit so viel Geld? John Salvatore kauft als erstes – na was schon, wenn man Italiener beziehungsweise italienischer Abstammung ist? Richtig, einen Ferrari. Aber ansonsten bedrückt ihn der unerwartete Reichtum, denn er nimmt seine vom Urahn aufgetragene Mission ernst, wie er der Menschheit ihre Zukunft wiedergeben kann.

 

Fontanelli – unbedarft in Finanzfragen, wie er ist – fällt einem abgedrehten Manager namens Michael McCaine in die Hände, dem er erst einmal freie Hand lässt und der buchstäblich über Leichen geht, als ein anderer Anwärter auf das Vermögen auftaucht. Dem Finanzberater fällt nicht viel mehr ein, als mit dem Geld so ziemlich jedes Unternehmen zu kaufen, die Mitarbeiter zu schurigeln und die Peitsche zu schwingen, damit Gewinne und Profite weiter steigen. Das macht, so stellt John Salvatore mit der Dauer fest, sicher die Menschheit nicht besser und entspricht kaum dem göttlichen Auftrag.

 

John Salvatore denkt um, fängt von vorne an. Eschbach und seinem Helden (sein zweiter Vorname ist Programm) geht es darum, die Menschheit vor Willkür, Ungerechtigkeiten und Armut zu retten. An der Wende vom 20. ins 21. Jahrhundert sind es nicht die Themen Umweltschutz und Klimakrise. Einige Bemerkungen lassen den Schluss zu, dass Fontanelli die Menschheit mittels einer verbreiteten Zinsknechtschaft durch die Kapitalisten, zu denen sich Fontanelli aufgrund seines unermesslichen Vermögens auch sich selber zählt, ausgebeutet sieht. Geld im Überfluss macht nicht glücklich, das wird dem New Yorker Schustersohn klar. Er führt ein zurückgezogenes Leben, hat weder Freunde noch Freundin, befürchtet, dass alle es nur auf sein Geld absehen haben. Selbst Negativzinsen würden ihn so schnell nicht aus seiner Lage „befreien“.

 

Was aber braucht die Welt, was man nur bedingt mit Geld kaufen kann? Es braucht, so sein Schluss nach manchen Irrwegen, einen charismatischen, identitätsstiftenden und allseits respektierten Weltpräsidenten, der die Menschheit auf den richtigen Kurs bringt. Seine Wahl fällt auf (den zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch lebenden) Nelson Mandela. Fontanelli überzeugt im Roman den Freiheitskämpfer von seinem Vorhaben und finanziert eine weltweite Wahlkampagne. Mit Erfolg. Schließlich wird Mandela gewählt. Damit endet auch das Buch.

 

Dass Eschbach nicht weiterspinnt, was sich auf der Welt ändert, habe ich im ersten Augenblick bedauert. Aber wie anfangs geschrieben: Es ist ein modernes Märchen, das dazu einlädt, eigene Luftschlösser zu bauen. Es ist eine Aufforderung an uns alle, darüber nachzusinnen, ob und wie man mit einer Billion Dollar der Menschheit die Zukunft zurückgeben könnte. Ist es der Kampf gegen die Klimakrise? Sind es Impfkampagnen? Ist es flächendeckend möglichst gute Bildung? Was könnte es sein? Ist es morgen noch das, was es heute wäre? Auch darin liegt das Rätsel.

 

Wenn jemand eine Antwort findet, bitte eine kurze E-Mail an mich.

– Peter–

 

Andreas Eschbach

Eine Billion Dollar

Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach; 2001