James A. Michener

Mazurka

Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine bringt mich in diesen Tagen dazu, ein Buch vorzustellen, das mir schon länger am Herzen liegt. Vor 39 Jahren (1983) schrieb James A. Michener mit Mazurka ein wunderbares Epos über Polen. Ganz im Stile des reifen Micheners erzählt er mehr als zwei Familiengeschichten. Von vorne herein öffnen sich durch die Anlage der Personen – hier aus einer Bauernfamilie kommend, dort aus dem niederen Adel – die Türen zur politischen Geschichte in Mittel- und Osteuropa. Angefangen bei den Tartareneinfällen im 13. Jahrhundert bis zu den seinerzeit neuesten Entwicklungen mit der Gewerkschaftsbewegung Solidarność.

Bei der Lektüre musste ich immer wieder an meinen Geschichtslehrer in der Oberstufe denken, der uns eindringlich auf die politischen Folgen der drei polnischen Teilungen und das Schicksal Mittel- und Osteuropas hinwies. Viele der Zusammenhänge, die ich damals als durchaus interessierte Schülerin ahnte, manifestierten sich für mich bei der Lektüre in diesem wunderbaren Historienroman. Einen besonderen Reiz entwickelte er auch dadurch, dass die Familie Canibol aus einer der Regionen stammt, in der Michener seinen Roman spielen lässt.

Der Autor führt uns in eine Welt von jahrhundertelanger Leibeigenschaft auf der einen Seite und gegenüber den Untertanen kompromisslosen Handelns durch weltliche und geistliche Herrschende. Mag der Titel auch plakativ sein – das Werk ist es ganz und gar nicht, auch wenn Stereotype eine Rolle spielen. Aber nur so erklärt sich Geschichte allgemeingültig. Mazurka führt uns über Grenzen, die immer wieder gezogen wurden und nach dem nächsten Scharmützelt wieder anders verliefen. Der Autor nimmt uns mit auf eine historische Reise, in deren Verlauf Herrschende um des eigenen Vorteils willen ganze Landstriche und Menschen an andere Herrscher verkauften. In welchem Maße die ländlichen Regionen strukturell unterentwickelt waren und – noch unvorstellbarer – dass die Leibeigenschaft in der Region erst in der jüngsten Geschichte ein Ende fand, das alles konnte ich mir bis zur Lektüre nicht vorstellen.

Als Leser:innen wird uns nicht zuletzt vor Augen geführt, wie eng der kulturelle Zusammenhang zwischen dem Baltikum über Weißrussland, die Ukraine, Polen, Böhmen, Preußen, Ungarn und Österreich ist. So verwundert es nun auch nicht, dass es einen Großteil der aus ihren ukrainischen Heimatstädten Flüchtenden hinzieht in diese Länder.

Wer eine faszinierende Reise durch diese Kulturregion machen will, wer mehr über die politisch-historischen Zusammenhänge in Mittel- und Osteuropa lernen will, dem sei dieser Geschichtsroman ans Herz gelegt.

- Susanne -

James A. Michener
Mazurka
Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München; 1998
(nur antiquarisch erhältlich)